Anstatt auszurechnen, wie wahrscheinlich wirtschaftliche oder politische Ereignisse sind, ermittelt Bert Flossbach lieber, wie sie sich auf Unternehmen auswirken. Der Gründer und Vorstand von Flossbach von Storch über hohe Renditeansprüche, verpasste Chancen und den dümmsten Satz an der Börse.
DAS INVESTMENT: Herr Flossbach, wir gehen mit Brexit, Handelskrieg, Abschwung und Populisten ins neue Jahr. Ist es heute besonders wichtig, in der Aktienauswahl solche Entwicklungen für ein Portfolio zu decodieren?
Bert Flossbach: Decodieren trifft es ganz gut. Es geht darum zu erkennen, welches Geschäftsmodell und welche Wettbewerbsvorteile ein Unternehmen hat. Damit meine ich Vorteile, die sich auch in höheren Margen niederschlagen, sonst sind es keine. Und es geht darum, wie gut dieser Vorteil geschützt ist – den Schutzwall. Das muss man sich Unternehmen für Unternehmen ansehen. Die Frage lautet nicht: „Wie wahrscheinlich ist der Brexit?“, sondern: „Was bedeutet der Brexit für das Unternehmen XY“.
Klingt schwierig. Selbst wenn man ein Unternehmen sicher glaubt, kommt irgendetwas Unerwartetes. Zum Beispiel als Apple mit dem iPhone die Dominanz von Nokia zerstörte.
Flossbach: Da werden Sie ziemlich speziell.
Wir sind auf Unternehmensebene, genau wie Sie.
Flossbach: Ein solcher Fall ist nicht die Regel. Oft kann man noch abwägen, ob etwas gut oder schlecht ist, was aber nicht bedeutet, dass man nicht auch mal mit seiner Einschätzung zu einem Unternehmen daneben liegt. Dafür hat man im Fonds die Risiken breit gestreut – und im Idealfall einen Puffer bei der Bewertung der jeweiligen Aktie.
Bert Flossbach gründete 1998 in Köln die Vermögensverwaltung Flossbach von Storch (FvS) und ist seitdem Vorstand. Er verantwortet das Research und das Investment-Management. Von 1991 bis 1998 war Flossbach als Executive Director bei Goldman Sachs in Frankfurt tätig. Von 1988 bis 1991 betreute er private und institutionelle Anleger bei der Matuschka-Gruppe in München.
In Ihrem Marktberichten arbeiten Sie sich oft am Zinsniveau ab.
Flossbach: Weil der Zins die Gravitationskraft für sämtliche Anlagen ist, damit essentiell aus Anlegersicht. Und ich halte an meiner Einschätzung fest: Die Zinsen bleiben für immer tief. Mit der aktuellen Verschuldung von Staaten und Unternehmen ist ein Zinsniveau wie vor 10 oder 15 Jahren mit 4 oder 5 Prozent nicht mehr denkbar. Das wirkt sich auf die Bewertung von Vermögensgegenständen aus. Geld wird falsch angelegt. Die Leute gehen in sinnlose Investments, kaufen beispielweise überteuerte Zinshäuser. Ein Großteil des Vermögens steckt dann in einer Wohnung, die sie glauben, dauerhaft attraktiv vermieten zu können – ohne größere Instandhaltungskosten. Das ist hochriskant, aber sie meinen, dass es risikoarm ist. So etwas lebt davon, dass die Zinsen niedrig bleiben. Schauen Sie sich in den Großstädten um, die Immobilienmärkte sind auf Höchstständen.
Am Aktienmarkt haben die Menschen Angst vor Höchstständen.
Flossbach: Und Journalisten offenbar auch. Ihre Schlagzeilen tragen dazu durchaus einen Teil bei. Eine Tagesverlust von 2 Prozent wird da schnell mal zum Crash. Das fördert die Volaphobie vieler Anleger. Ich habe gestandene Unternehmer erlebt, die schon bei geringen Kursschwankungen im Privatvermögen nervös wurden. Das ist aber zu kurzfristig gedacht.
Wann werden Ihnen denn Aktien zu teuer?
Flossbach: Wenn die Zukunft nicht mehr ausreicht, um die Gegenwart zu rechtfertigen. Unter Annahme einer plausiblen Risikoprämie.
Ist das bei Ihnen eine Kennzahl?
Flossbach: Ja, der auf heute abgezinste Cashflow. Es kommt drauf an, wo Sie den risikofreien Zins und die Risikoprämie ansetzen. Wenn Sie den Zins mit einem Prozent annehmen, haben Sie durchaus einen Puffer.
Weil Sie künftige Cashflows stärker abzinsen als mit dem tatsächlichen Nullzins.
Flossbach: Es hängt ja immer davon ab, wie der Markt die Zukunft sieht, welchen risikofreien Zins er unterstellt und welche Risikoprämien er einpreist. Aber Zins und Prämie werden nicht separat betrachtet, sondern zu einer gesamten Zielrendite vermengt. Wir haben mit Firmen gesprochen, die ihren Renditeanspruch nach der Kapitalkostenmethode WACC, Weighted Average Cost of Capital, berechnen. Sie haben das Ziel von 11 auf 10 Prozent gesenkt, obwohl die risikofreien Zinsen in der Zeit von 4 auf 0 Prozent gefallen sind.
Wo bleibt der Rest?
Flossbach: Den nehmen sie als Puffer. Weil aber eine Zielrendite von 10 Prozent bei einem risikofreien Zins von null eine viel zu hohe Rendite aufs Eigenkapital unterstellt, geben sie nur die Gesamtzahl an. Meine Meinung ist, dass man beim heutigen Zinsniveau schon mit einer Gesamtrendite von 5 bis 7 Prozent glücklich sein müsste. So kalkuliert aber niemand.
Was folgern Sie daraus?
Flossbach: Die am Markt gehandelten Aktienbewertungen sind zu tief, weil sie zu hohe Renditen unterstellen. Würde der Renditeanspruch nach unten angepasst, wären viel höhere Bewertungen und damit viel höhere Aktienkurse möglich.
Warum macht das niemand?
Flossbach: Viele trauen dem Zinsniveau immer noch nicht, sondern glauben insgeheim, der Zins würde schon bald wieder deutlich steigen. Wenn aber jeder wüsste, der risikofreie Zins ist in den kommenden 20 Jahren bei einem Prozent zementiert, und eine Risikoprämie von mehr als 3 Prozent für Nestlé ist verrückt, dann ergibt das eine Rendite von 4 Prozent. Der Kehrwert als Kurs-Gewinn-Verhältnis müsste dann also bei 25 liegen. Das wäre das absolute Minimum. Wenn die Firma zudem noch wächst, und ihren Gewinn in zehn Jahren um vielleicht 60 oder 70 Prozent steigert, dann würde das das Multiple auf 15 drücken. Aber angesichts des unveränderten Zinsumfelds wird die Aktie dann logischerweise nicht mehr bei 15 notieren, sondern deutlich höher. Was die Bewertung angeht, sind wir schon eine Stufe höher als früher. Historisch notierte Nestlé immer bei einem Multiple von 12 bis 14, heute sind es 22 bis 24. Wir könnten aber deutlich höher liegen, wenn jedem klar würde, dass der Zins dort unten bleibt.
Viele Fondsmanager lassen Banken von vornherein außen vor, weil sie nicht durchschaubar sind.
Flossbach: Ich habe schon vor der Finanzkrise gesagt, dass Bankaktien mit Vorsicht zu genießen sind.
Was dann auch stimmte.
Flossbach: Ich habe mich dann in der Krise mit forensischer Leidenschaft auf Bankbilanzen gestürzt, um zu sehen, wie wenig ich davon verstehe. Nur so viel: Die typische europäische Universalbank, wie wir sie kennen, hat sich überlebt.
Die Wirtschaft braucht Banken.
Flossbach: Die Wirtschaft, ja. Aber doch nicht Sie als Investor. Würden Sie Ihr Geld in Bankaktien stecken? Das Eigenkapital ist im Vergleich zum Risiko gering. Es ist ein sehr hart umkämpfter Markt, und in den Banken bündeln sich immer alle Risiken dieser Welt. Ein Blick auf den Euro Stoxx Banken Index bestätigt das.
Demnach halten Sie sich fern.
Flossbach: Weitestgehend. Wir haben eine Bank aus Indien im Portfolio, die die ganzen schlechten Eigenschaften nicht hat. Sie konzentriert sich auf das Geschäft mit Immobilienkrediten. Und zwar an Kunden, die in den Häusern auch selbst wohnen wollen. Ein risikoarmes Geschäft mit extrem geringer Ausfallquote. Es soll hier auch nicht pauschal gegen eine bestimmte Branche gehen. Auch andere Unternehmen sind so komplex, dass wir sie nicht verstehen und uns deshalb fernhalten. Vielleicht versteht sie ein anderer und macht deshalb den Kauf seines Lebens. Da sind wir dann auch nicht böse drüber. Weglassen können ist das Allerwichtigste.
Gibt es nicht trotzdem eine verpasste Chance, der Sie nachtrauern?
Flossbach: Klar, die gibt es, einige der FANG-Aktien beispielweise. Ein häufiger Fehler ist der, dass man bei Unternehmen, die man gut verstanden hat, zu schnell von Bord geht. Es gibt Titel, die haben wir viel zu früh verkauft, um sie dann später zu deutlich höheren Kursen wieder zurückzukaufen. Und dann nochmal verkauft und später wiedergekauft. Wären wir doch einfach dabeigeblieben!
Warum sind Sie immer wieder raus?
Flossbach: Wir hatten den Unternehmen dieses enorme Wachstum nicht zugetraut. Und die Aktien waren zwar zwischenzeitlich hoch bewertet.
Getreu dem Motto: An Gewinnmitnahmen ist noch keiner gestorben …
Flossbach: … was der dümmste Satz ist, den es an der Börse gibt.
Was müsste Ihre jahrelange Top-Position Nestlé eigentlich verbocken, damit Sie die mal verkaufen?
Flossbach: Nestlé hat ein sehr breites Geschäftsmodell mit großer, stabiler Produktpalette. Es ist ja eher ein Konsumgüterfonds. Im Grunde müsste die Bewertung zu hoch für das sein, was die Firma liefern kann. Wenn also die zukünftigen auf heute abgezinsten Zahlungsströme nicht mehr ausreichen, um den heutigen Kurs zu rechtfertigen, dann werden wir die Aktie wohl verkaufen. Wobei das keine binäre Entscheidung ist. Wir können auch auf- und abbauen.
Vor einigen Wochen gab es einen Schwenk am Markt von Wachstums- hin zu Substanzwerten, also von Growth zu Value. Ist das das Comeback von Value?
Flossbach: Wie definieren Sie denn Value?
Kurs-Buchwert-Verhältnis unter 1, Kurs-Gewinn-Verhältnis unter 10, gemessen am Gewinn fürs kommende Jahr.
Flossbach: Es ist problematisch, bei einem echten Zykliker auf den Gewinn des kommenden Jahres zu setzen. Der ist so flüchtig, dass Sie ihn nicht greifen können.
Dann nehmen wir den aktuellen Gewinn.
Flossbach: Es ist der Sinn von Value, dass man mehr bekommt als man bezahlt. Das kann aus dem Status quo kommen oder aus der Zukunft. Wenn die aber nicht gut ist, dann hilft Ihnen die Gegenwart auch nicht. Man kauft also am Ende immer die Zukunft. Man sagt ja immer, dass Value-Aktien besonders günstig sind und es deshalb schon reicht, wenn der Gewinn über die Jahre gleichbleibt. Und Growth-Aktien sind teuer, sodass sie Wachstum mitbringen müssen. Doch da stellt sich die Frage, wie sicher das Wachstum ist, das ich heute schon bezahle. Es kann derart gut abschätzbar sein, dass die Aktie heute eben doch ein Schnäppchen ist.
Und alle springen auf und erzeugen Momentum.
Flossbach: In der Tat kommt in solche Werte normalerweise irgendwann Fantasie rein. Immer mehr Zukunft wird gehandelt, die Bewertung steigt. Dann entsteht Euphorie, und quantitative Momentum-Investoren und passive Indexprodukte springen auf und treiben das noch weiter.
Haben Sie eigentlich noch Anleihen?
Flossbach: Ja, aber nur Anleihen mit deutlich positiven Renditen und ordentlicher Bonität, wobei wir immer unser eigenes Rating erstellen.
Was passt Ihnen an offiziellen Ratings nicht?
Flossbach: Es ist nicht so, dass uns daran etwas nicht passt. Aber es kann nicht unser Anspruch sein, ein Dreifach-B zu nehmen uns zu sagen: schon in Ordnung.
Damit würden Sie aber Aufwand sparen und die Rating-Agenturen die Arbeit machen lassen.
Flossbach: Die ist ja nicht immer gut. Es kann interessanter sein, sich ein gutes BB+ herauszusuchen, das aufsteigen kann, als ein BBB-, das nach unten fällt. Im Grunde machen wir uns darüber Gedanken, ob der Emittent das Papier bei Fälligkeit zurückzahlen kann. Bei Nachranganleihen hat man das nicht, dafür aber ein Call-Datum, auf das wir uns ausrichten können. Die Unternehmen haben große Anreize, Call-Termine zu nutzen, was sie praktisch zu Fälligkeiten macht. Und selbst wenn nicht, dann macht der laufende Kupon die Sache interessant. Das ist nichts zum Handeln, sondern zum Liegenlassen.
Haben Sie ein Beispiel?
Flossbach: Wir haben eine VW-Nachranganleihe im Portfolio, die wir nach der Dieselkrise gekauft haben. Wir bekommen einen ordentlichen Kupon und sitzen auf Kursgewinnen, mit denen wir gar nicht kalkuliert hatten. Aber generell ist der Markt abgegrast. Anleihen dienen heute, bis auf solche Ausnahmen, im Grunde nur noch zwei Zwecken: Investoren haben sie noch, weil der Regulator Ihnen das vorschreibt. Das ist zugleich der dümmste Grund. Und der zweite Aspekt sind Kursgewinne, also der Glaube daran, dass die Rendite noch tiefer fällt.
Oder als Gegenpol, der gewinnt, wenn Aktien mal einbrechen.
Flossbach: Trotzdem müssen die Zinsen fallen, damit man mit Anleihen noch gewinnt. Ob das passiert, weil die Aktien einbrechen, ist dann erstmal egal. Es gibt auch immer noch den Rolleffekt auf der Zinskurve. Der beträgt bei einer zehnjährigen Anleihe einen halben Prozentpunkt. Das bringt immerhin die Anfangsrendite von minus 0,5 Prozent zurück auf null, das ist immer noch besser als Kasse. Aber auch das setzt voraus, dass die Zinsen zumindest nicht steigen.
Sie sagen selbst, dass das nicht passiert.
Flossbach: „Nicht steigen“, heißt nicht, dass die Rendite einer zehnjährigen Bundesanleihe nicht mal auf 0 oder sogar 0,5 Prozent gehen kann. Ein Anstieg von minus 0,5 auf plus 0,5 erzeugt aber 10 Prozent Kursverlust. Das Chance-Risiko-Verhältnis ist bei Anleihen einfach nicht gut, und viele Fonds haben das noch nicht realisiert, weil sie noch auf Kursgewinnen sitzen. Die Kunst heute ist es, sehr flexibel und aktiv zu sein.
Klassisches Buy-and-Hold ist sinnlos?
Flossbach: Ja, damit werden Sie vermutlich kein Geld mehr verdienen.
In einem Ihrer Quartalsberichte zitieren Sie die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die den ständigen Wunsch nach Wirtschaftswachstum anprangert. Sie sagt, es geht auch ohne.
Flossbach: Aber sie muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Die sozialen Systeme würden zusammenbrechen. Dann haben Sie Altersarmut und bei den jüngeren Leuten Perspektivlosigkeit. Ein umlagefinanziertes Vorsorgesystem können Sie nicht ohne ein zumindest geringes Wachstum pro Kopf bewerkstelligen.
Könnte man nicht auch die aktuelle Wirtschaftsleistung nehmen und besser umverteilen? Es müsste doch genügend für alle da sein.
Flossbach: Das geht nicht, wir brauchen ein nominales Wachstum, weil wir auch nominale Zahlungsversprechen haben. Wir können die Rente ja nicht einfach kürzen.
Kinder wachsen und sind irgendwann erwachsen. Wird auch die Wirtschaft mal erwachsen?
Flossbach: Nein.
Also ewiges Wachstum?
Flossbach: Das haben wir seit tausenden von Jahren, und daran wird sich nichts ändern. Es sei denn, technologischer und produktiver Fortschritt hören auf. Davon gehen wir nicht aus. Das Wachstum kommt ja aus dem Fortschritt. Und da wird es sicherlich noch Dinge geben, von denen wir heute noch nichts ahnen. Vor 20 Jahren konnte sich auch noch niemand vorstellen, welche Dynamik so ein Smartphone einmal erzeugen würde. Das ist qualitatives Wachstum, das nicht einmal zu Lasten der Umwelt gehen muss.
Grünes Wachstum?
Flossbach: Eher gutes Wachstum. Der Weckruf von Greta Thunberg ist zwar sehr gut und wichtig; aber wir müssen auch die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Technologieschübe können solche Probleme lösen.
Kann es sein, dass die Welt inzwischen wahnsinnig komplex geworden ist?
Flossbach: Es kommt einiges zusammen, Brexit, Handelskrieg, die Klimadiskussion. Nicht zu vergessen: die Macht der Daten. Es wäre früher undenkbar gewesen, eine Wahl in einem anderen Land zu beeinflussen. Das alles, gepaart mit der Globalisierung, verändert die Welt, und Volkswirtschaften, die sich nicht darauf einstellen, gehören zu den Verlierern. Damit kommt Widerstand auf, der Populisten Auftrieb gibt. Das Ganze erzeugt eine gewisse Instabilität, die sich aber in der Wirtschaft bisher noch nicht allzu sehr niedergeschlagen hat.
Die gefürchtete Deglobalisierung läuft noch nicht.
Flossbach: Bisher nur punktuell.
Wird sie noch kommen?
Flossbach: Sobald es die betroffenen Länder zu sehr schmerzt, dürften sie damit aufhören. In China ist das der Fall, wenn die Wirtschaft nicht mehr ausreichend wächst. Dann ist der dort so wichtige ökonomische Frieden gefährdet.
Wie viel Wachstum braucht China zurzeit?
Flossbach: Das kann man nicht genau sagen. Wir wissen ja nicht einmal, wie sauber die Zahlen sind. Es sind vielleicht 5 oder 6 Prozent, aber auf keinen Fall nur 2 Prozent. In den USA sind starke Börsen, florierende Wirtschaft und niedrige Arbeitslosigkeit für Präsident Trump essenziell. Deshalb muss er alles irgendwie am Laufen halten. Er hatte ja die Steuerreform …
… deren Effekt aber ausläuft. Zurzeit sieht es so aus, als würde er die Wirtschaft in die Grütze reiten.
Flossbach: Die USA sind eine große, geschlossene Wirtschaft, in der man die Effekte des Handelskonflikts noch nicht so merkt. Die Wirtschaft läuft gut, die Arbeitslosigkeit ist auf einem Tief und die Börse auf Allzeithoch. Und Trump kennt seine Stellschrauben. Er weiß, dass es dem Markt hilft, sobald er deeskaliert. In Europa merkt man den Handelskrieg schon eher. Aber er schlägt sich in den Absatzzahlen, zum Beispiel der Autoindustrie, noch nicht nieder.
Die sind Vergangenheit, wie sehen die Auftragsbücher aus?
Flossbach: Da kühlt sich sicherlich alles etwas ab. Wir gehen folglich auch nicht davon aus, dass sich das Wachstum demnächst beschleunigen wird. Aber es sieht eben auch nicht nach einer Weltrezession aus.
Wir haben uns schon gefragt, wann das böse Wort mit R fällt.
Flossbach: Das Gerede über eine technische Rezession mit zwei Minusquartalen in Folge ist ohnehin Unfug. Und einen schmerzhaften Abschwung sehen wir höchstens in der Autoindustrie und bei den Zulieferern, aber nicht im Bau oder dem Dienstleistungssektor.
Was macht das mit den Gewinnen.
Flossbach: Die werden erst einmal gedrückt. Währungstechnisch haben wir aber Rückenwind, weil der Euro tendenziell schwach ist. Und die Wirtschaft steht immer noch relativ gut da.
Und in den USA?
Flossbach: Gewinne zählen ja immer nach Steuern. Insofern hat die Steuerreform erst einmal dazu geführt, dass sie ein gutes Stück gestiegen sind. Außerdem sind die operativen Margen gestiegen. Wobei ich seit 20 Jahren höre, dass die Margen zu hoch seien und wieder sinken müssten. Der Markt hat sich aber verändert. Es gibt heute Technologiefirmen, die es vor 30 Jahren noch gar nicht gab und die generell höhere Margen fahren als Unternehmen aus zyklischen Branchen.
Mean reversion gilt nicht mehr?
Flossbach: Es gibt gar kein Mean, weil es die Firmen noch nicht so lange gibt. Sicherlich sind die Margen schon recht hoch, und das weitere Potenzial ist wahrscheinlich begrenzt. Wir sollten aber auch nicht daraus ableiten, dass die Margen strukturell wieder fallen müssten. Es ergibt keinen Sinn, so etwas auf Marktebene zu betrachten, also für den S&P 500 oder den Dax.
Nun hat heutzutage bei Dingen wie dem Brexit nicht gerade der Homo Oeconomicus die Oberhand. Auch manche politischen Entscheidungen wie die Energiewende wirken disruptiv und können Unternehmen die Geschäftsgrundlage entziehen. Tut sich der Markt schwer, solche Dinge einzupreisen?
Flossbach: Ja, denn er übertreibt in der Regel, wenn etwas Neues kommt. Doch das gibt sich dann. Heute beeinflusst der Brexit den Markt kaum noch, weil alle Teilnehmer verstanden haben, dass sie einfach mit ihm leben müssen.
Et kütt wie et kütt.
Flossbach: Richtig. Es kommt zurzeit so viel aus allen Bereichen, dass man sagt: Okay, nächstes Thema. Auch an den Handelskrieg haben wir uns gewöhnt. Es gibt ein Hin und ein Her, Vorstoß, Rückzug und wieder eine Frist. So etwas verändert nicht mehr komplett die Lage. Man weiß, dass da was ist und lässt eine Risikoprämie im Markt. Jedes einzelne Thema hätte früher den Markt lange im Griff haben können. Aber heute ist es so viel, dass man dafür eine neue Eskalationsstufe bräuchte. Da ist eine Gewöhnung spürbar.
Herr Flossbach, wir danken Ihnen für das Gespräch.